Innenstadt im Wandel – Die COVID-19-Pandemie als Beschleuniger?

01.07.2020

Leerstand im Erdgeschoss

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie und der sich dadurch verschärfenden Situation des stationären Einzelhandels stellen sich die Fragen nach tragfähigen Transformationsmodellen für in die Krise geratene Einkaufsstraßen drängender denn je. Auch wenn eine realistische Abschätzung der Folgen derzeit kaum möglich ist, kann doch von einer deutlich höheren Zahl existenzbedrohter Einzelhandelsbetriebe ausgegangen werden, als sie im folgenden Text mit bis zu 25.000 Schließungen angegeben wird (Institut für Handelsforschung 2019, 52). Der Handelsverband schätzt die coronabedingten Insolvenzen auf bis zu 50.000, was rund 9% der bundesweit 450.000 Geschäfte entspricht (so der Geschäftsführer des HDE, Stefan Genth, im Interview mit der Funke Mediengruppe im April 2019).

In diesem Kontext skizzieren die nachfolgenden Überlegungen eine Leitlinie, wie diesen massiven funktionalen Umbrüchen in Einkaufsstraßen planerisch begegnet werden kann.

Die Langfassung dieses Artikels (in Zusammenarbeit mit Dr. Holger Pump-Uhlmann) erschien in der PLANERIN (Ausgabe 2_20, April 2020). Der Artikel basiert auf der Studie „Einkaufsstraßen neu denken - Praxisleitfaden für die Umnutzung leer stehender Ladenlokale“, die auf der Website der Baukultur Nordrhein-Westfalen e. V. verfügbar ist und bereits 2019 veröffentlicht wurde (Link zum Download am Ende des Artikels).

 

Die Innenstadt war schon immer und in besonders ausgeprägter Weise von Wandel und Veränderung geprägt, sowohl hinsichtlich der Nutzungen als auch der baulichen Strukturen. Aktuell sorgt, neben immer drängender werdenden, verkehrlichen und klimatischen Herausforderungen insbesondere der Rückzug des stationären Einzelhandels dafür, dass einzelne Straßen und Quartiere der Innenstadt in einen tief greifenden Veränderungsprozess geraten sind. Dadurch entstehen krisenhafte Erscheinungen: Leerstände und (funktionale) Verfallsprozesse sind vielerorts zu beobachten. In vielen Innenstädten liegt die Leerstandsquote bereits bei 20% und mehr. Prognosen des Instituts für Handelsforschung zufolge ist allein in Nordrhein-Westfalen bis zum Jahr 2030 mit bis zu weiteren 25.000 Schließungen zu rechnen (Institut für Handelsforschung 2019, 52).

Dies macht bauliche und funktionale Umstrukturierungen in der Innenstadt – auch in größerem Stil - zwingend erforderlich. Eine funktionale Neuausrichtung einer bislang von Einzelhandel dominierten, aber mittlerweile Not leidenden Geschäftsstraße ist also keine Kapitulation oder gar ein Schuldeingeständnis für die bisherige Stadtentwicklung, sondern ganz im Gegenteil eine realistische Anerkennung der realen Gegebenheiten, die zudem neue Chancen eröffnet.

Insgesamt handelt es sich um eine äußerst komplexe und meist langwierige Aufgabe, die eine klare Zielformulierung braucht, eine aktive Rolle der Kommune erfordert und bei der Städtebauförderung und –recht zielgenau eingesetzt werden müssen. Um den gegenwärtig in der Innenstadt stattfindenden Funktionswandel aktiv zu gestalten, müssen zukunftsfähige und von Politik, Verwaltung und Stadtgesellschaft getragene Vorstellungen definiert werden, die eine Leitlinie vorgeben und den Privaten Investitionssicherheit vermitteln. Um die Zielstellung konkret zu machen und kommunizieren zu können, sind Konzepte zu entwickeln, bei denen in einem offenen und akteursbezogenen Prozess passende Profile und Nutzungsstrukturen für Quartiere, Straßenzüge oder Standorte entwickelt werden.

Aber auch in dieser Krise liegt eine Chance: nämlich aus monostrukturierten Straßenzügen mit geringer Erlebnisqualität wieder lebendige Quartiere zu entwickeln. In dieser Situation gilt es, Nutzungsideen und Visionen für die Innenstadt der Zukunft zu formulieren, deren Umsetzung anzustoßen und die wichtigen Akteure mitzunehmen. Dies bedarf eines hohen Maßes an sensibler Vermittlungsarbeit. Wenn diese Transformation der Innenstädte hin zu einer neuen Multifunktionalität gelingen soll, muss der Funktionswandel zukünftig durch die Kommune aktiver gestaltet und stärker gesteuert werden. Die Städtebauförderung muss sich diesen neuen Aufgaben stellen und den erforderlichen funktionalen Umbau von Gebäuden aktiv und möglichst unbürokratisch unterstützen.

Werden diese Aspekte berücksichtigt kann die augenblickliche Krise überwunden werden und es kann eine neue, tragfähige innerstädtische Struktur entstehen.

Die Studie "Einkaufstraßen neu denken" ist auf der Website der Baukultur Nordrhein-Westfalen e.V. zum Download verfügbar.